Anleihen – steigende Zinsen und fallende Kurse – warum?
Das Jahr 2022 war an den internationalen Kapitalmärkten ein annus horribilis. Aber nicht nur die Aktienkurse fielen, sondern auch die Kurse der Anleihen, teilweise zweistellig. Ursächlich hierfür waren die schnellen und erheblichen Zinsanhebungen der wichtigsten Zentralbanken zwischen Ende 2021 und Herbst 2023. Lag z. B. der europäische Leitzins im Sommer 2022 noch bei 0,0 %, so stieg dieser bis September 2023 auf 4,5 % und liegt nunmehr seit Juni 2024 bei 4,25 %. Doch warum fallen die Anleihekurse so stark, wenn sich die Zinsen eigentlich positiv entwickeln? Das soll an einem rein theoretischen und stark vereinfachten Beispiel erklärt werden.
Anleger A kauft eine Anleihe X zu einem Kurs von 100 € mit einem Zinssatz (Kupon) iHv 3,25 % p.a. und einer Laufzeit von 12 Monaten. Behält Anleger A diese Anleihe, so erhält er nach genau 12 Monaten 103,25 € ausgezahlt, also den Nennwert der Anleihe zu 100 € (Rückzahlung seiner Investition) zzgl. des versprochenen Zinses von 3,25 % p.a., also 3,25 € (sein Gewinn). Eine Sekunde nach dem Kauf dieser Anleihe steigen die Zinsen um 1,0 % p.a. Anleger A fragt sich verwundert, warum seine Anleihe, für die er gerade noch 100 € bezahlt hat, nunmehr nur noch zu 99,00 € gehandelt wird, warum er also einen Kursverlust von 1,0 % erlitten hat. Die Erklärung ist in diesem hypothetischen Beispiel tatsächlich relativ einfach. Anleger B hat nach der Zinsanhebung die Möglichkeit, eine Anleihe Y zu einem Kurs von 100 € mit einem Kupon iHv 4,25 % und einer Laufzeit von 12 Monaten zu erwerben. Nach Ablauf eines Jahres erhielt er dann eine Auszahlung iHv 104,25 €. Sollte Anleger A nun seine Anleihe verkaufen wollen, so besteht weder für Anleger B noch für irgendjemanden sonst eine Veranlassung, dessen Anleihe zu 100 € zu kaufen. Der Gewinn bei Anleihe X wäre auf Jahressicht um 1 € (Zins zu 3,25 %) niedriger als bei der neuen Anleihe Y (Zins zu 4,25 %). Wäre A jedoch bereit, einen niedrigeren Kurs zu akzeptieren, so wäre es für Anleger B und alle anderen ebenso lohnend, dessen Anleihe für 99 Euro bei einem Zins von 3,25 % zu zahlen, hätten sie doch am Ende dieses Jahres ebenfalls einen Gewinn iHv 4,25 € erzielt. Würden in diesem Beispiel die Zinsen jedoch nach einer Sekunde von 3,25 % auf 2,25 % p.a. fallen, dann hätte Anleger A einen Kursgewinn iHv 1,0 % zu verzeichnen. Denn nun hat er keine Veranlassung mehr, seine „wertvolle“ Anleihe mit einem Zins von 3,25 % p.a. zu 100 € zu verkaufen, wenn alle anderen jetzt nur Anleihen zu 2,25 % p.a. kaufen könnten.
Dieses sehr vereinfachte Beispiel erklärt im Grundsatz, wie Anleihekurse auf Zinsentscheidungen der großen Zentralbanken reagieren. In der Realität jedoch spielen zusätzlich viele anderen Faktoren eine Rolle. Wichtig ist insbesondere die sog. Fälligkeitsdauer der Anleihe und das sog. Durations-Risiko. Beträgt die Fälligkeitsdauer mehrere Jahre (bspw. wenn die Rückzahlung Anleihe erst in 5 Jahren fällig wird), dann steigt oder sinkt der Anleihekurs stärker um diesen Faktor der potentiellen Haltedauer. Zudem spielen bei der Preisfindung auch Markterwartungen an die zukünftige Zinsentwicklung eine Rolle. Gehen die Märkte bspw. davon aus, dass die Leitzinsen angehoben oder gesenkt werden, so werden einige Marktteilnehmer ihre Anleihepositionen anpassen und so kann eine hohe Nachfrage oder ein hohes Angebot die Kurse zusätzlich beeinflussen.
Wichtig ist jedoch zu wissen, dass Anleihen nicht per se risikolos sind, auch deren Kurse können wie Aktienkurse (stark) sinken.