Behavioral Finance

Geld flieht überall dort, wo man es mit Gewalt festhalten will.

André Kostolany (1908 – 1999), ungarischer Börsenspekulant

Die nicht mehr ganz so junge Wissenschaft des Behavioral Finance (oder Verhaltensökonomie) beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen Informationen auswählen, wahrnehmen und verarbeiten und ob sie diese zur rational nachvollziehbaren Grundlage Ihrer Entscheidungen machen – oder ob das menschliche Entscheidungsverhalten auch im rein ökonomischen Bereich eher emotional begründet ist. Die Verhaltensökonomie soll dabei helfen, das eigene Entscheidungsverhalten zu verbessern und ein möglichst umfassendes Verständnis dafür liefern, wie und weshalb sich die Marktteilnehmer an den internationalen Kapitalmärkten so verhalten wie sie es eben tun. Es sind mittlerweile auch einige „Anomalien“ im menschlichen Verhalten herausgearbeitet worden. Und schon ein kurzer Blick darauf erklärt so dies und das. 

Wir leben in einer Zeit des „information overload“. Es ist nicht möglich, alle relevanten Informationen für eine fast unbegrenzte Anzahl an börsennotierten Unternehmen aufzunehmen und zu verarbeiten. Unbewusst findet deshalb immer eine Selektion der Informationen statt. Es gilt dabei als gesichert, dass Menschen zur selektiven Wahrnehmung und Selbstbeschränkung neigen und deshalb anfällig für Bestätigungsfehler sind. Für Entscheidungen werden jene Informationen gesucht und gefunden, die die eigene Meinung bestätigen und unterstützen (selektive Wahrnehmung), andere Informationen werden gar nicht wahrgenommen (Selbstbeschränkung). Und für vergangene Entscheidungen gilt, dass man sich gerne an gute Anlageentscheidungen erinnert, Fehlentscheidungen jedoch schnell verdrängt (Bestätigungsfehler). Ebenfalls anzutreffen ist, was man als Repräsentativität bezeichnet, eine besondere Form der selektiven Wahrnehmung. Kurzfristige Schwankungen und aktuelle, wenn auch schnelllebige Informationen haben bei der Entscheidungsfindung ein zu großes Gewicht, nur schwer wahrnehmbare, aber langfristig relevante Daten werden hingegen nicht genügend beachtet. 

Und da ist des Weiteren das Phänomen der Selbstüberschätzung. Offensichtlich sind mehr als 70 % der Autofahrer*innen in Deutschland der Meinung, sie zählten zu den 20 % der sichersten Autofahrer*innen („better than average“-Effekt). Das kann rein mathematisch nicht der Fall sein. Auf die Börse übertragen bedeutet dieses Prinzip, dass es typisch menschlich ist, Erfolge eher der eigenen Kompetenz zuzumessen als dem Zufall. Man sei halt intelligenter als der Markt (was zumindest langfristig ebenfalls nicht möglich ist). Man spricht hier auch von selbstwertdienlicher Attribution, wenn man für positive Ergebnisse die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften als verantwortlich sieht, während bei negativen Ergebnissen die (unglücklichen) situativen Gegebenheiten vorgeschoben werden. Das ist für das Selbstbewusstsein allemal besser. 

Gut untersucht ist die leicht nachvollziehbare menschliche Verlustaversion, also das Bedürfnis, Verluste zu vermeiden. Das führt bspw. dazu, dass keine Anlageentscheidungen getroffen werden. Oder aber dass Aktienpositionen, deren Kurs gefallen ist, unter keinen Umständen verkauft werden, obwohl eine Investition in dieselben Aktien heute als unsinnig empfunden wird. Vermeintlich vermeidet man dann, dass aus bisherigen Buchverlusten tatsächliche Verluste werden.

Ebenfalls leicht verständlich ist das Bedürfnis nach Orientierung, Anchoring genannnt. Entscheidungen werden von einem „Anker“ aus getroffen. Stünde der Dax bspw. bei 20.000 Punkten (vielleicht in naher Zukunft?), so impliziert dies einen „zu hohen“ Dax-Stand (daher müssen die Kurse fallen), ein Dax-Stand von 10.000 Punkten wird jedoch als günstig angesehen (die Kurse werden steigen). Allerdings sind solche Grenzen rational nicht begründbar. Dax-Stände aus der Vergangenheit haben keine Relevanz für künftige Entwicklungen. Und je nach Lage der Wirtschaft und/oder der einzelnen Unternehmen kann ein Dax-Stand von 10.000 Punkten alles andere als günstig sein. 

Das sog. Framing ist etwas komplizierter und beschreibt die empirisch bestätigte Tatsache, dass der Präsentationsrahmen einer Information zu deren Bewertung beiträgt. Bspw. wird bei einem Gut, das 4 € kostet, ein Rabatt iHv 1 € (wenig attraktiv) anders wahrgenommen als ein Rabatt iHv 25 % (attraktiv). Im Kontext der Börse kann dies bedeuten, nicht den Wertzuwachs des gesamten Portfolios zu bewerten, sondern jede einzelne Position isoliert von allen anderen Positionen. Und schon nimmt man nur die Positionen, die sich gut entwickelt haben, wahr (selektive Wahrnehmung) und beglückwünscht sich zum erzielten Erfolg (Selbstüberschätzung).

Zudem sind wir Menschen Herdentiere – rennt die Herde in eine Richtung, rennen wir automatisch mit, egal, ob die Richtung stimmt oder nicht. Diese gleichgerichteten und eventuell irrationalen Entscheidungen können zu einem Trend führen, der sich stetig selbst verstärkt und im schlechtesten Fall zu Spekulationsblasen und schließlich zu schmerzhaften Kurskorrekturen führt. Und last, but not least … ein großer Fehler ist wie immer die mangelnde Selbstdisziplin. Mangelnder Erfolg an der Börse hat in erster Linie mit mangelnder Selbstdisziplin zu tun! Denn das Auf und Ab der Börse auszuhalten ist keine ganz leichte Kunst.